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Allgemeines
Titel: Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast
Autorin: Christelle Dabos
Verlag: Insel Verlag (29. Oktober 2019)
Genre: Fantasy
Seitenzahl: 614 Seiten Weitere Bände: Die Spiegelreisende 1-4 "Die Verlobten des Winters", "Das Gedächtnis von Babel" und "Im Sturm des Echos"
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Inhalt
Ophelia wurde gerade zur Vize-Erzählerin am Hof von Faruk erkoren und glaubt sich damit endlich sicher. Doch es dauert nicht lange, und sie erhält unheilvolle anonyme Drohbriefe: Wenn sie ihre Hochzeit mit Thorn nicht absagt, wird ihr Übles widerfahren. Und damit scheint sie nicht die Einzige zu sein: Um sie herum verschwinden bedeutende Persönlichkeiten der Himmelsburg. Kurzerhand beauftragt Faruk Ophelia mit der Suche nach den Vermissten. Und so beginnt eine riskante Ermittlung, bei der es Ophelia nicht nur mit manipulierten Sanduhren, sondern auch mit gefährlichen Illusionen und zwielichtigen Gestalten zu tun bekommt. Am Ende steht eine folgenschwere Entscheidung.
Vom glamourösen Hof der Himmelsburg in das abgründige Universum der Sanduhren und Orte, die gar keine sind – um ihr Leben sowie das ihrer Familie zu retten, muss Ophelia an ihre Grenzen gehen. Und das in einer Welt, in der sie so gut wie niemandem trauen kann, womöglich nicht einmal ihrem zukünftigen Ehemann Thorn?
Bewertung
Die "Spiegelreisende"-Reihe lag lange Zeit auf meinem SuB und nach über sechs Jahren habe ich mich letzte Woche endlich mal dem ersten Band gewidmet. In "Die Verlobten des Winters" führt Christelle Dabos bereits in eine faszinierende, fremdartige Welt voller Illusionen, Intrigen und Magie, die mit undurchsichtiger Handlung, interessanten Figuren und originellen Ideen überzeugt. "Die verschwundene vom Mondscheinpalast" knüpft da direkt an und führt die Handlung weiter - ebenso interessant und atmosphärisch, aber mit vergleichbar angezogener Handbremse auf den ersten 300 Seiten...
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Nachdem Band 1 sehr schleppend gestartet ist und sich gegen Ende immer explosiver steigerte, hatte ich gehofft, dass "Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast" von Beginn an etwas temporeicher erzählt sein würde. Das stellte sich aber leider als Irrtum heraus. Obwohl die Handlung auf die Sekunde genau an das Ende von Band 1 anknüpft, verliert sich die Autorin wieder über 300 Seiten in zwar für die Figuren und das Worldbuilding relevanten Details, die die Handlung allerdings überhaupt nicht voranbringen. Auch wenn es hier einen kleinen zusätzlichen Krimi-Plot gibt, um für einen roten Faden zu sorgen, plätschert die Geschichte also zwischenzeitlich schon stark dahin. Theoretisch hätten die gesamten Ereignisse von Band 1 und 2 - Ophelias Start in Anima, ihr Ankommen am Pol auf dem Anwesen von Berenilde, ihre Zeit als Page im Mondscheinpalast, ihre Zeit als Vize-Erzählerin Faruks, ihre Flucht an die Küste und schließlich der Showdown in der Himmelsburg in einem einzigen Band erzählt werden können.
Was dem Spannungsbogen vermutlich sehr zuträglich gewesen wäre, hätte aber wahrscheinlich der kleinschrittig aufgebauten Atmosphäre sehr geschadet. Denn abermals versteht es die Autorin sehr gut, durch subtile Andeutungen, undurchsichtige Gegenspieler, überraschende Wendungen und immer wechselnde Fragen eine Grundspannung aufzubauen, die trotz der trägen Handlung dafür sorgen, dass man das Buch nicht aus der Hand legen möchte. Dazu trägt auch wieder der flüssige, schlichte Schreibstil der Autorin bei. Christelle Dabos erzählt hier weiterhin aus der personalen Erzählperspektive von Ophelia, die gelegentlich durch rätselhafte Einschübe unterbrochen wird. Diese "Fragmente" werfen viele Fragen über den Ursprung des "Risses", die Bücher der Hausgeister, die Identität von "Gott" und Ophelias Rolle in der Welt auf und sorgen für zusätzliche Spannung, da man mit den spärlichen Informationen, die einem bisher zur Verfügung stehen, kaum auf eine zufriedenstellende Lösung des Puzzles kommen kann. Interessanterweise merkt man dem Text an einigen Stellen außerdem wieder an, dass es sich hier um eine Übersetzung aus dem Französischen handelt - es wirkt auf der einen Seite sprachlich sperrig, auf der anderen aber auch voll von französischem Charme.
Apropos Charme... Das Worldbuilding ist zweifellos eine der größten Stärken der gesamten Reihe und eines der kreativsten und originellsten im Fantasy-Genre. Christelle Dabos nimmt uns in ihrer vierbändigen Reihe mit in eine Welt, in der die Menschen nach dem "Riss" auf einzelnen fliegenden Archen leben, die über der brodelnden Erdoberfläche dahinziehen. Jede dieser Archen ist von Familien bewohnt, die jeweils einem mächtigen Hausgeist entstammen und dessen magische Fähigkeiten geerbt haben. Unsere Hauptfigur Ophelia stammt von der Arche Anima, auf der die sogenannten Animisten leben, die Einfluss auf Gegenstände haben. Bisher haben wir außerdem den Pol kennengelernt, eine kalte, von Misstrauen geprägte Winterlandschaft, in der feindlich gesinnte Clans mit telepathischen und illusionistischen Kräften um Macht kämpfen. In diesem zweiten Band dürfen wir noch etwas länger auf dieser Arche verweilen und einiges über die Herrschaftsstrukturen, den Hausgeist Faruk, die vertriebenen Clans, die Architektin Mutter Hildegard und eine größere, geheime Verschwörung hinter den Kulissen lernen. Auch über das Magiesystem, Ophelias Fähigkeiten zum Spiegelreisen und dem charmanten Animieren von Gegenständen, erfahren wir hier mehr. Dabei werden alle neuen Informationen aber eher beiläufig gegeben und es bleibt weiterhin vieles offen und angedeutet, sodass es für die kommenden zwei Bände noch einiges zu entdecken gibt! Die anderen Archen zum Beispiel....
Ophelia als Hauptfigur steht erst am Beginn ihrer Entwicklung, das wird in Band 2 deutlicher denn je. Die extrem zurückhaltende, tollpatschige junge Frau, die stoisch vieles über sich ergehen lässt, aber einen erstaunlich treffsicheren Instinkt sowie die Fähigkeit, direkt ins Wespennest zu stechen besitzt ist alles andere als eine gewöhnliche Heldin einer Fantasy-Reihe. An manchen Stellen war sie mir etwas zu passiv, insgesamt wächst sie einem aber gerade durch ihre stille Art und ihre zögerliche Entwicklung schnell ans Herz. Mit ihrer Fähigkeit, durch Spiegel zu reisen und durch das Berühren von Gegenständen deren Vergangenheit zu "lesen" sowie ihren magischen Begleitern wie ihrem lebendigen Schal und ihrer Brille, die nach Gemütslage die Farbe wechselt, hat sie einfach einen Charme, dem man sich nicht entziehen kann. Nerdig, schüchtern, unbeholfen, aber herzensgut - sie erinnert ein wenig an eine weibliche Version von Newt Scamander...
Die Nebenfiguren sind hingegen alles, was sie nicht ist: Wo sie eine stille Beobachterin ist, die vieles über sich ergehen lässt, sind sie laut und aufmerksamkeitsheischend aktiv, wo sie ehrlich und offen ist, sind sie verschlagen, während man sie sofort versteht, sind die Nebenfiguren allesamt komplex und schwer greifbar. Egal ob Ophelias Verlobter Thorn, dessen Tante Berenilde, der kindliche Kavalier, der Botschafter Archibald, oder der Familiengeist Faruk, alle haben unterschiedliche Motive, die sie erst nach und nach enthüllen, sodass man keinem trauen kann und nie weiß, ob hinter einer fragwürdigen Handlung reine Boshaftigkeit oder ein verborgener Grund steckt. Obwohl es nicht einfach ist, sie alle ins Herz zu schließen, konnte ich mich hier langsam auf einige von ihnen einlassen und habe auch das Gefühl, dass noch riesiges Potenzial für die Folgebände existiert. Besonders auf die weitere Entwicklung der Romanze zwischen Ophelia und Thorn bin ich sehr gespannt, da diese - trotz dass sie genau wie die beiden sehr ungewöhnlich und zurückhaltend erzählt ist - auf einem spannenden Fundament steht...
Nachdem die ersten 300 Seiten so träge angelaufen sind, sind die letzten 300 dafür umso spannender und turbulenter. Besonders das Ende hat es wirklich in sich, sodass ich wahnsinnig froh bin, dass ich nun gleich zu Band 3 greifen kann!
Fazit
Mit "Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast" knüpft Christelle Dabos direkt an den Zauber des Auftakts an, der weniger durch rasante Action als durch seine Atmosphäre, sein vielschichtiges Weltenkonzept und die leise Stärke seiner Hauptfigur überzeugte. Auch hier muss man angesichts des trägen Starts Geduld mitbringen, man wird allerdings mit einem wendungsreichen Showdown und großartiger Erzählkraft belohnt!
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